Innerhalb kürzester Zeit hat es Boris Palmers kritisches Sachbuch »Wir können nicht allen helfen« mit dem Untertitel
„Ein Grüner über Integration und die Grenzen der Belastbarkeit“
nach ganz vorn in die Spiegel-Bestsellerliste geschafft.
Fest steht: An kaum einem anderen Problem scheiden sich noch immer derart die Geister, wie an Merkel und ihrer Flüchtlingspolitik. Kaum ein anderes Thema hat es geschafft, so lange in den Schlagzeilen zu bleiben, wie die legendäre, quasi im Alleingang getroffene Entscheidung der deutschen Kanzlerin, − samt allen Unwägbarkeiten der unkoordinierten, über Monate gänzlich außer Kontrolle geratenen deutschen Grenzöffnung.
Doch während die mächtigste Frau der Welt in ihrem jüngsten umfassenden Presseinterview (in voller Länge nachzulesen bei Welt+) keine Fehler in der Flüchtlingskrise zugesteht, sondern alle wichtigen Entscheidungen des Jahres 2015 wieder so treffen würde, sehen sowohl der Autor, als auch andere ernst zu nehmende Skeptiker ihre Flüchtlingspolitik und vor allem die praktische Umsetzung ihres über Monate propagierten Mantras „Wir schaffen das” kritischer.
Entsprechend der Brisanz der Thematik wurde Boris Palmers nüchtern, unaufgeregt und daher besonders aufrüttelnd daherkommende politik- und gesellschaftskritische Publikation mittlerweile von allen namhaften deutschen Medien − angefangen von Welt/N24, Spiegel, über FAZ, ZEIT-ONLINE und FOCUS bis hin zu Cicero und zum Handelsblatt − ausführlich besprochen und kontrovers diskutiert. Zu einer Einstimmung auf den Inhalt des Buches empfiehlt sich auch die Lektüre des Deutschlandfunk-Artikels »Integration auf dem Prüfstand«, der mit vielen Leseproben, bzw. Zitaten des Autors gespickt ist.
Eine wohltuende Ausnahme von der Regel
Mit das Brisanteste an dem in Buchform erschienenen Referat
Wir können nicht allen helfen
ist jedoch zweifellos auch die Tatsache, dass es von einem »Grünen« geschrieben wurde. Scharf formuliert: Von einem Mitglied einer weltoffenen, dem linksliberalen Spektrum zuzuordnenden Öko-Partei, die explizit in Sachen Flüchtlings-, Migrations- und Integrationspolitik eher durch ideologisch-utopisches Wunschdenken, als durch realpolitische Lösungen von sich reden macht.
Es verwundert daher nicht, dass Boris Palmer und seine lebensnahen Thesen gerade in seiner Partei hoch umstritten sind und er dort − analog Thilo Sarrazin in der SPD, oder Wolfgang Bosbach in der CDU − als die berühmte Kuh gehandelt wird, die verkehrt herum im Stall steht. „Boris Palmer hat ein Buch über Flüchtlinge geschrieben, »Wir können nicht allen helfen«. Oh je! Die Überraschung: Das Buch enthält keinen einzigen skandalösen Satz”, titelt eine ZEIT-ONLINE-Korrespondentin und proklamiert abschließend: „Es ist absurd, dass Palmer tatsächlich von Parteifreunden schon auf den bloßen Titel des Buchs hin die Aufforderung bekam, »einfach mal die Fresse zu halten«.”
„Der für ein Mitglied der Partei Bündnis90/Die Grünen bewundernswert realistische Kommunalpolitiker Boris Palmer (amtierender Oberbürgermeister der Stadt Tübingen) plädiert für eine »Zeitenwende der Asylpolitik« und wirft einen unverstellten Blick aus dem Tübinger Rathaus auf Deutschland in der Flüchtlingskrise …. ”, bemerkten auch wir bereits am 7. März 2016 in unserer Rezension der von Jens Spahn (CDU) herausgegebenen Publikation »Ins Offene«.
„Wehe dem, der nicht bedingungslos dafür war ….”
Gut 1 1/2 Jahre später wirft Boris Palmer wiederum einen unverstellten Blick aus dem Fenster des historischen Rathauses in Tübingen und schildert seine zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen aus aktueller Sicht. Auf Seite 169 resümiert er eindrucksvoll: „Es war damals kaum möglich, darüber reden, dass die Flüchtlinge überwiegend schlecht ausgebildet sind, vielfach gar nicht aus Kriegsgebieten kommen und meist junge Männer sind, ohne sich anhören zu müssen, das sei AfD-Sprech. Wichtig war nicht, ob das Gesagte zutrifft oder nicht, wichtig war, dass es sich nicht so anhören durfte wie das, was die AfD sagte. Meiner Meinung nach war das fatal.”
Und etwas weiter unten: „In die rechte Ecke gestellt zu werden, ist in Deutschland aber nicht irgendein Makel, sondern gesellschaftliche Ächtung. Ich selbst habe in vielen Diskussionen erlebt, wie es ist, sich ständig mit dem Vorwurf des Rechtspopulismus auseinandersetzen zu müssen. Ich wurde unzählige Male als rechter Hetzer oder »grüne« Pegida beschimpft, des Rassismus oder der Menschenverachtung bezichtigt und zum Übertritt zur AfD aufgefordert.”
Von Obergrenzen und Belastungsgrenzen
Als objektiver Leser könnte man Boris Palmer eher einen »Brückenbauer« nennen, der unermüdlich daran arbeitet, die immer unüberbrückbarer erscheinenden Gegensätzlichkeiten zwischen unterschiedlichen Weltanschauungen und sich zwangsläufig daraus ergebenden kontroversen Standpunkten zu verbinden. Einen »souveränen Architekten«, der versucht Probleme vor Ort praktisch, statt ideologisch von der sicheren Parteizentrale aus zu lösen. Immerhin hängt der Erfolg oder Misserfolg der Mammut-Aufgabe »Unterbringung und Integration von hunderttausenden Flüchtlingen und Migranten«, die die etablierten Parteien sowie ein Großteil der deutschen Gesellschaft sich selbst auferlegt hat, ganz wesentlich von der ungebrochenen Bereitschaft zur Zusammenarbeit der aufnehmenden Gesellschaft ab.
Wie wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten der Zusammenhalt von jetzt schon in Pro und Contra gespaltenen Bevölkerungsteilen − die man grob in bekennende »Befürworter« und in bekennende »Gegner« eines obergrenzenlosen Zuzugs von immer mehr Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen nach Mitteleuropa drängen, unterteilen kann − , gestalten? Wie wird sich der Zuzug von Millionen Menschen unterschiedlichster Couleur, Kultur, Bildung und Religion nach Deutschland und Europa auf das gemeinschaftliche Zusammenleben im Alltag auswirken? Werden wir statt »Integration« nur ein im Grunde für alle Seiten unbefriedigendes »Nebeneinander« erleben?
Wer nicht kämpft, hat schon verloren
»Packen wir es an«, möchte uns der Autor im Fazit mit seinem 256 Seiten starken Sachbuch, das er in die vier aufschlussreichen Kapitel
- Die Herausforderung
- Vor Ort
- Illusionen und Tabus
- Lösungen
unterteilt hat, beherzt zurufen, — warnt aber auch gleichzeitig vor gefährlicher Überforderung, denn »Wir können nicht allen helfen«!
Es bleibt zu hoffen, dass Boris Palmers zu Papier gebrachte erfrischend sachliche Ansichten, Erfahrungen und Argumente ihr Ziel nicht verfehlen — und wenn denn schon nicht den ein oder anderen Andersdenkenden zur Einsicht, so doch wenigstens zum Nachdenken bringen. Der Sachbuch-Bestseller
Wir können nicht allen helfen
(ISBN 978-3-8275-0107-3) ist als gebundene Ausgabe im Schutzumschlag beim Siedler Verlag erschienen und kostet 18,00 €.
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