Machtverfall / Ein Report von Robin Alexander

Robin Alexander: Machtverfall
Machtverfall − Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik: Ein Report von Robin Alexander

Mit seiner neuen Publikation »Machtverfall« hat der stellvertretende WELT-Chefredakteur Robin Alexander zum zweiten Mal einen brisanten politischen Insider-Report geliefert, der die Öffentlichkeit darüber aufklärt, was sich hinter den Berliner Kulissen abspielt.

Schon beim Lesen seines ersten Reports unter dem Titel »Die Getriebenen«, den wir ebenfalls mit großem Interesse gelesen und rezensiert haben, waren wir von den offenbar bis ins letzte Detail sorgsam recherchierten Hintergrundinformationen des Autors sehr beeindruckt: Nur jemand, der über gute, bzw. bestens unterrichtete zuverlässige Quellen im engsten Berliner Kreis verfügt, kann solche offenkundig unanfechtbaren hieb- und stichfesten Reportagen zu Papier bringen.

Verschobener Machtwechsel

Der Spiegel-Bestsellerautor startet seinen Report »Machtverfall« − der ursprünglich offenbar den Titel  »Machtwechsel« tragen sollte − am 16. März 2017. An diesem Tag landete Angela Merkel bei strömendem Regen in Washington, um Donald Trump einen ersten Besuch abzustatten. Mit ihrem Besuch im Weißen Haus im Frühjahr 2017 beginnt das letzte Kapitel von Merkels Kanzlerschaft. Wäre Trump nicht US-Präsident geworden, hätte sie darauf verzichtet, bei der Bundestagswahl ein paar Monate später erneut anzutreten”, schreibt Alexander im ersten Kapitel, das er »Kanzlerschatten« getauft hat.

Inzwischen ist die Ära Trump Geschichte und es macht den Anschein, dass die Mehrheit der Amerikaner diesen Ex-Präsidenten nicht wirklich vermisst. Ob Deutschland Angela Merkel − die bereits im Herbst 2018 erklärte, weder bei der Wahl für den Parteivorsitz, noch bei der nächsten Bundestagswahl wieder als Kanzlerkandidatin anzutreten − vermissen wird, wird sich zeigen.

Fest steht: Eine Weile wird sie uns wohl auch noch nach dem 26. September 2021 erhalten bleiben. Es sei denn, die der Wahl auf dem Fuß folgenden Koalitionsverhandlungen gingen dieses Mal überraschend schnell und unproblematisch über die Bühne. Schon titelt die WELT »Bundestagswahl 2021 — Nach der Bundestagswahl kann Angela Merkel richtig durchregieren« und stellt die Frage in den Raum: „Was passiert in den Wochen oder Monaten, bis eine neue Regierung gebildet ist? Die Verfassung hat dafür einen Plan – und doch ist diesmal alles anders. Angela Merkel kann dann noch mal auftrumpfen. Spannend ist auch: Was macht Armin Laschet?”

„Ist Deutschland schon bereit für eine männliche Kanzlerin?”

„Wer wird Deutschlands next Mutti?“ Mit diesem lockeren Karnevalsscherz tastete sich der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erstmals an die der Union − speziell seit dem Rücktritt der CDU-Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer im Februar 2020 − immer heißer unter den Nägeln brennende Nachfolgefrage in Richtung Neubesetzung des freiwerdenden Heiligen Stuhls im Kanzleramt heran. Bis zu seiner Wahl zum CDU-Bundesvorsitzenden im Januar 2021 und seiner im Anschluss daran hart erkämpften Nominierung zum Kanzlerkandidaten im April dieses Jahres sollte allerdings noch viel Wasser den Rhein herunterfließen.

Schnappschuss auf dem CDU-Parteitag Leipzig 2019

Mit Spannung verschlingt man als politisch interessierter Leser die Seiten, auf denen Robin Alexander die hochdramatischen Ereignisse rund um den Wettbewerb zwischen Laschet und seinem bayerischen Kontrahenten Söder um die Kanzlerkandidatur aus Insidersicht schildert.

Dabei sah doch auf dem CDU Parteitag Leipzig 2019, bei dem auch wir akkreditiert waren, zumindest auf der Bühne alles noch so harmonisch aus. Kaum zu glauben, dass bald − wie der Autor im Kapitel »Hetzjagd« detailliert ausführt − intrigante Machtspielchen stattfinden und hinter den Berliner Kulissen die Fetzen fliegen sollten.

Ein kleiner Virus aus Wuhan, der die Welt auf den Kopf stellt

Interessant auch zu erfahren, dass Angela Merkel noch Anfang September 2019 die chinesische Stadt Wuhan besucht hat. Inklusive einer Klinik, die vermutlich bereits zu diesem Zeitpunkt ein Corona-Hotspot war.  

  • Robin Alexander leitet die fesselnden Kapitel »Fiasko« und »Lockdown«, in denen man die leidliche Geschichte der Berliner (gesundheits)politischen Pandemiebekämpfung in allen wichtigen Einzelheiten noch einmal genauestens resümieren kann, mit folgenden Worten ein: „Angela Merkel ist weltweit die erste Staats- und Regierungschefin, die sich in gefährliche Nähe des Corona-Virus begibt. Ohne es zu wissen.  Zu jedem Zeitpunkt, an dem sie sich womöglich einem erhöhten Infektionsrisiko aussetzt, hat die deutsche Kanzlerin vom Erreger SARS-CoV-2 noch nie gehört. Sie ahnt nicht, dass er eine Pandemie auslösen und Hundertausende Tote fordern wird. Dass er die Weltwirtschaft einer nie da gewesenen Belastungsprobe aussetzen, die politischen Gewichte zwischen den Großmächten verschieben und das dramatische Finale ihrer Kanzlerschaft prägen wird.”
Als die Welt der Grünen noch in Ordnung war

Der enorme Einfluss der Grünen Partei/Bündnis90 in den letzten Jahren auf wichtige und richtungsweisende Entscheidungen in dieser Republik − mit allen (un)mittelbaren und langfristigen sozial-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Folgen − lässt sich nicht bestreiten.

  • „Die Entscheidung, was in Deutschland politisch geht und was nicht, fällt im »Grünen Kamin«. So heißt ein Treffen, das jeden Donnerstagabend vor Sitzungen des Bundesrates in der Landesertretung Baden-Württembergs in Berlin stattfindet. Hier beraten die beiden grünen Parteichefs mit den regierenden grünen Landespolitikern, welche Vorhaben der Großen Koalition durchgewinkt, welche blockiert und welche vertagt werden um in Nachverhandlungen im Tausch grüne Inhalte durchzusetzen. In diesem Machtspiel haben die Grünen erstaunlich oft gute Karten. Schon die zentralen Projekte der letzten Großen Koalition waren im Kern eher grüne Anliegen als konservative oder sozialdemokratische. Die Flüchtlingspolitik Angela Merkels wäre ohne die Ökopartei nicht möglich gewesen ….”, bestätigt Robin Alexander unsere Vermutungen im letzten Kapitel seines Reports, das er »Endspiel« genannt hat.

Der Report »Machtverfall« endet allerdings bereits nach dem Sieg Armin Laschets über den ›beliebteren‹ Markus Söder beim Kampf um die  Kür zum Kanzlerkandidaten. Zu diesem Zeitpunkt liegen die Grünen − mit ihrer Galionsfigur Annalena Baerbock an der Spitze − bei den Meinungsumfragen weit vor der Union. Zur Zeit ist aufgrund der sich aktuell überschlagenden peinlichen Ereignisse (in deren Mittelpunkt die hochgradig ehrgeizige Kanzlerkandidatin steht) der Stern der Grünen im Sinken begriffen, so dass die Union wider Erwartens auf einen »Machterhalt« hoffen darf.

»Der Ball ist rund, und ein Spiel dauert 90 Minuten«

Ob diese Vorgänge langfristig bis zur Landesebene durchschlagen, ist nicht absehbar. Wahrscheinlich wünschen sich in diesen Tagen sicher nicht wenige grüne Parteimitglieder*innen einen magischen Zeitumkehrer, um die ärgerliche Entwicklung der letzten Wochen ungeschehen zu machen. Denn quasi nur mit Zauberei ließen sich die aus dem Ruder gelaufenen Dinge einfangen, so dass man wieder an der Stelle neu aufsetzen könnte, als die Umfragewerte noch in den Himmel stiegen und das einstige Traumpaar Habeck und Baerbock Zeit und Muße für »Blümchenprints« hatte, wie Robin Alexander die Lobeshymnen nennt, die von der grünen Parteizentrale aus auf die Union angestimmt wurden.

  • Der Autor hätte Hellseher werden sollen. „Die erst 40 Jahre alte Partei und ihre genauso junge Anführerin wollen mit dem neuen Zeitgeist ins Kanzleramt segeln. Ein gewagtes Manöver: Baerbock war nie Ministerin, nie Bürgermeisterin, nie Landrätin, sie hat ihre bisherige Karriere nur in der grünen Partei gemacht. Und jetzt will sie gleich Deutschland regieren?”, stellt er in weiser Voraussicht die Entscheidung der Grünen bei der Auswahl ihrer Kanzlerkandidatin in Frage.

Aber Spaß beiseite: Herr Alexander verfügt wohl kaum über hellseherische, oder gar  ›magische‹ Fähigkeiten wie Rita Kimmkorn, die ihm der Grüne Cem Özdemir in seiner unterhaltsam geschriebenen Rezension im Tagesspiegel 🙂 zutraut, sondern vielmehr über eine − über journalistischen Instinkt, mediale Politikkompetenz und Zutritt zu einem beneidenswerten Insider-Netzwerk hinausgehende − gute Menschenkenntnis und vor allem das, was man im allgemeinen einen gesunden Menschenverstand nennt.

Den Pelz waschen, aber bitte nicht nassmachen

Noch ist alles offen. Aber der Tag, an dem die spannende Frage „Wer wird auf dem Kanzlerstuhl Platz nehmen” endlich geklärt wird, rückt unaufhaltsam näher. Lassen wir uns überraschen, wer am Ende Sieger nach Punkten wird. Soviel ist jedoch schon jetzt klar: Die letzten Wochen bis dahin werden Deutschland in Atem halten. Noch spannender aber wird es, wenn das Ergebnis feststeht und die ersten Verhandlungen beginnen. Ändert sich alles − wie ein Teil der Bevölkerung es fordert − und zwar mit allen Konsequenzen, oder bleibt doch das meiste beim Alten?

Man darf sowohl von einem spannenden »Endspiel« um den Thron ausgehen, als auch davon, dass dieser Report mit Sicherheit nicht der letzte ist, den Insider Robin Alexander zu Papier bringt. Der Stoff für eine Fortsetzung dürfte ihm kaum ausgehen.

Der Autor lässt seine Reportage mit folgenden Worten enden: „Abschreiben sollte man Armin Laschet jedoch noch nicht. Denn das hieße, diesen ungewöhnlich zähen, ja leidensfähigen Mann zu unterschätzen. Diesen Fehler haben schon viele begangen.”

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Unser Fazit: Wie bereits eingangs erwähnt, ist dem Autor mit seinem neuen Werk

Machtverfall − Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik

ein weiteres Mal ein brisanter Insider-Report gelungen, der die Hintergründe der  Ereignisse im Regierungszentrum der deutschen Hauptstadt während des Zeitraums 2017 bis 2021 bis in die letzte dunkle Ecke ausleuchtet. Politisch interessierte Leser und Leserinnen werden das Buch mit großem Genuss verschlingen, das − neben der (noch) im Zentrum stehenden Angela Merkel − u. a. um Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz, Armin Laschet und Markus Söder kreist. Und mal ehrlich: Wer hätte nicht gern Mäuschen gespielt bei dem diskreten Treffen, das im »Reich von Wolfgang Schäuble« stattfand und in dessen Verlauf Söder und seine Adjutanten den Rückzug nach München antraten? Einen weiteren großen Raum in der Reportage nimmt der speziell im Vorjahr verunglückte Umgang der deutschen Regierungsverantwortlichen auf Bundesebene mit der noch längst nicht bewältigten Corona-Krise ein, der teilweise abgrundtief blicken lässt. Aber lesen Sie selbst!

Interessante Einblicke in das 384 Seiten umfassende politische Sachbuch kann man auch durch die Lektüre folgender Rezensionen gewinnen:

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Die Publikation

Machtverfall − Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik: Ein Report von Robin Alexander

(ISBN: 978-3-8275-0141-7) ist als Hardcover-Ausgabe mit Schutzumschlag im Siedler Verlag zum Preis von € 22,00 erschienen.

Verlagsinfo