Rezension des politischen Meinungsfinders »Ins Offene: Deutschland, Europa und die Flüchtlinge«. Die Debatte hat begonnen ….
Bei Erscheinen des Sachbuchs
Ins Offene: Deutschland, Europa und die Flüchtlinge
berichteten Ende November 2015 n-tv.de-Nachrichten großspurig: ”Person der Woche: Jens Spahn. CDU-Aufsteiger probt den Aufstand. Nun wirft der erste CDU-Präside Angela Merkel den Fehdehandschuh hin.” Weiter hieß es: ”Jens Spahn ist ab sofort der Horst Seehofer der CDU”, — was allerdings wohl nicht so ganz den Tatsachen entspricht.
Wahr ist jedoch, dass sich CDU-Mann Jens Spahn − der seit Juli 2015 als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium fungiert − durch die Herausgabe der Veröffentlichung
Ins Offene: Deutschland, Europa und die Flüchtlinge
maßgeblich in die in unserer Gesellschaft immer leidenschaftlicher geführte Flüchtlingsdebatte eingeschaltet hat und seitdem des Öfteren als Gast in bekannten deutschen Talkshows zum Thema Flüchtlingskrise diskutiert.
In der am 22.2.2016 ausgestrahlten Politik-Talkshow »Hart-aber-Fair« überraschte er sowohl mit der Aussage: “Wir sind einer Lösung so nahe wie lange nicht mehr”, als auch den kryptischen Bemerkungen: ”Jeder weiß: Wenn sich nichts verändert, wird in den nächsten Wochen etwas passieren. Nichts ist alternativlos.” Und bei »Maybritt Illner« am 3.3.2016 wehrte er mit Statements wie u.a. ”Wir sollten nicht sagen, dass es den Menschen in Deutschland schlecht geht.” ”Uns geht’s so gut wie seit 30 Jahren nicht mehr.” ”Hat hier irgendjemand einen Euro weniger gehabt?” SPD-Forderungen nach Sozialpaketen für ›zu-kurz-gekommene‹ Deutsche ab.
In seiner Publikation
Ins Offene: Deutschland, Europa und die Flüchtlinge
bietet Jens Spahn insgesamt 21 namhaften Politiker*innen, sowie Fachkundigen aus dem Metier Kirche, Journalismus, Wirtschaft, Soziologie und Wissenschaft, eine literarische Bühne für ihre gesellschafts-, wirtschafts- und sozialpolitischen Schriften, Kommentare, Analysen und Prognosen zu diesem ebenso aktuellen wie brisanten Thema.
Im ersten Kapitel »Flucht und Würde« berichtet Bundestagsmitglied Bernd Fabritius über die »Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg«. In seiner Funktion als Präsident vom Bund der Vertriebenen weiß er wovon er spricht, wenn er vor künftigen Parallelgesellschaften warnt und zu bedenken gibt, dass ein Staat nicht gut daran tut, eine Asylpolitik der »offenen Grenzen« zu etablieren.
In Anschluss daran schildert der erfahrene Kriegsberichterstatter Julian Reichelt in »Assads verbrannte Erde« seine Erlebnisse im bürgerkriegsgeschüttelten Syrien aus dem Sommer 2013. Der ehemalige *) Chefredakteur von bild.de kritisiert das von der deutschen Bundesregierung gebilligte Outsourcing der militärischen Intervention an Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Freilich konnte Julian Reichelt beim Verfassen seiner Zeilen noch nicht ahnen, dass Frau Merkel − mangels Erfolg der von ihr unermüdlich als alternativlos angestrebten europäischen Lösung der Flüchtlingskrise − mittlerweile auf die Unterstützung eines anderen Despoten baut.
Die dritte Schrift »Flucht und Menschenwürde« stammt aus der Feder des gebürtigen Stettiners Paul Ziemiak. Der bodenständige ehemalige Bundesvorsitzende der Jungen Union Deutschlands outet sich unter Anführung stichhaltiger Argumente als Befürworteter einer Obergrenze und liefert sechs hochinteressante, praktikable Vorschläge sowohl zur Bewältigung der Flüchtlingskrise, als auch zur Integration der in Deutschland Schutz suchenden Flüchtlinge.
Als Autorin Nummer 4 fordert die Journalistin Sineb El Masrar (Verfasserin der Publikationen »Muslim Girls«, »Emanzipation im Islam« ): ”Erst besinnen, dann Ärmel hochkrempeln” und plädiert für ein deutschlandweites friedliches und rassismusfreieres Zusammenleben.
Im zweiten Kapitel zum Thema »Werte − aber welche?« kommt als erstes ein amtierender Professor für islamische Religionspädagogik − Mouhanad Khorchide − zu Wort, der in seiner Niederschrift zu den »unveräußerlichen Werten des Zusammenlebens aus islamischer Perspektive« Stellung bezieht und die vermehrte Einwanderung von Muslimen als wichtigen Beitrag und Quell zu mehr primärer Spiritualität für Europa versteht.
„Wir brauchen eine Ethik der Verantwortung” verlangt im Anschluss daran Markus Söder, der Bayerische Staatsminister der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat. Als gestandener CSU-Politiker erwartet er zu Recht, dass Zuwanderer, die auf Dauer hier leben wollen, den Willen mitbringen, hier heimisch zu werden und der christlich-abendländischen Prägung unserer Kultur denselben Respekt entgegenbringen wie ihrer eigenen. Er führt weiter aus: ”Wir dürfen Intoleranz gegenüber unseren Werten, Gesetzen, Regeln und Sitten nicht akzeptieren, wollen wir unseren Kindern und Enkeln eine lebens- und liebenswerte Heimat hinterlassen und nicht ein anderes Deutschland.“
Der Chef der »Deutschen Welle«, Intendant Peter Limbourg betrachtet den anhaltenden Strom von Flüchtlingen aus der arabischen Welt, aus Afrika, Asien und dem Balkan als eine Zäsur für Deutschland und Europa und stellt in seiner Betrachtung »Zwischen Willkommens- und Anerkennungskultur: Flüchtlinge und die Medien« ernüchternd fest: ”Es ist vorbei mit der wohligen Gemütlichkeit“. Die Deutsche Welle (DW) feiert derweil große Erfolge mit der Talkshow ›Shabab Talk‹, die von der Arabian Broadcasting Union zur besten Talk-Show gewählt wurde.
„Mut zur Welt” ruft Prähistoriker Hermann Parzinger den Lesern in seiner gleichnamigen Abhandlung zu, und rät zur Schaffung gemeinsamer Grundwerte, die den neuen Zentrifugalkräften in unserer Gesellschaft entgegenwirken. Sein Appell ”Unsere Welt verändert sich, und wir müssen bereit sein, uns ebenfalls zu verändern”, deckt sich mit den Thesen von Franz-Josef Overbeck des Bischofs der deutschen Bundeswehr und des Essener Bistums, der unter dem Titel »Grenzen, die Wachstum provozieren − angesichts der Flüchtlingskrise Identität und Zuversicht aus dem Glauben gewinnen« aus theologischer Sicht zum Thema referiert.
Wie viele Flüchtlinge, die bislang nach Deutschland gekommen sind auf Dauer bleiben werden und ”Wie die Integration von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Vorderen und Mittleren Osten gelingen kann”, − sollte sich eine noch größere Remigrationswelle abzeichnen − , fragt sich Herfried Münkler in seinem Traktat. Trotz allem, ”Deutschland ist kein Hippie-Land”, stellt der deutsche Politikwissenschaftler entschieden fest und widerspricht damit der Behauptung des Politologen Anthony Glees im DLF, ›Deutschland habe sein Gehirn verloren‹.
Die rhetorische Frage »Festung Europa?« läutet das 3. Kapitel des Sachbuchs
Ins Offene: Deutschland, Europa und die Flüchtlinge
ein. Zu Wort kommen auch hier Sach- und Fachkundige, wie
- Wolfgang Ischinger mit seinem Beitrag »An die Wurzeln der Flüchtlingskrise: Elemente einer außenpolitischen Strategie«. Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz warnt in der Flüchtlingskrise vor einem Europa der nationalen Grenzen als einem historischen »Holzweg«.
- Bruno Le Maire: Der französische Diplomat und Politiker begründet in seinem Schriftstück »Wider die Festung Europa«, warum er eine militärische Intervention gegen den »IS« als legitimen, moralischen und sicherheitspolitisch gebotenen Akt der Verteidigung des internationalen Rechts für geboten hält.
- Klaus von Donanyi, − der als Ex-Bundesminister für Bildung & Wissenschaft und ehemaliger Erster Bürgermeister der Hansestadt Hamburg − die Frage „Werte − aber welche”. stellt. Der SPD-Politiker appelliert, dass sich auch die USA an den Folgen der von ihnen maßgeblich (mit)verursachten Flüchtlingskrise beteiligen, und hält es für einen richtigen Schritt, die Türkei ins Boot zu holen.
In Kapitel 4, das sich mit Problemen und Lösungsvorschlägen »Vor der eigenen Haustüre« befasst, referieren
- Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und Rheinland-Pfalz-Landtagskandidatin Julia Klöckner. Frau Klöckner stellt sowohl in ihrem Beitrag »Von der Willkommenskultur zur Integrationskultur« fest, warum es nach ihrer Auffassung keine Option ist, in einem Land dauerhaft als Fremder zu leben, − als auch auf ihrer Homepage klar, was unsere Gesellschaft zum Gelingen der Integration leisten muss.
- Der für ein Mitglied der Partei Bündnis90/Die Grünen bewundernswert realistische Kommunalpolitiker Boris Palmer (amtierender Oberbürgermeister der Stadt Tübingen), plädiert für eine »Zeitenwende der Asylpolitik« und wirft einen unverstellten Blick aus dem Tübinger Rathaus auf Deutschland in der Flüchtlingskrise.
- Dass sich aus der Sicht des Ex-Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, Wolfang Niersbach die durch die Flüchtlingskrise angestiegene »Vielfalt als große Chance« darstellt, versteht sich dagegen beinahe von selbst.
Im 5. und letzten Kapitel, in dem sich alles um »Wirtschaft und Wohlstand« dreht, äußern sich − inklusive des Herausgebers − folgende Experten kontrovers im Umgang mit der Situation:
- Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Michael Hüther − in Zusammenarbeit mit Wido Geis − , unter der Überschrift »Offenheit und Bildung die Ökonomischen Aspekte des Flüchtlingszustroms nach Deutschland« mit präzise und sachlich fundierten Ratschlägen und Empfehlungen.
- Oliver Samwer, (einer der »Samwer-Brüder«, die als Internet-Unternehmer und Betreiber von Internetinkubator Rocket Internet in Berlin von sich reden mach(t)en), mit einem PRO-Kommentar und jeder Menge theoretischen Basics für den Appell „Wir schaffen das”.
- BDI-Geschäftsführer Markus Kerber rät in seinem Beitrag »Flucht, Wanderung und Wirtschaft« dringend dazu, die gesinnungsethische Grundhaltung weiter Teile von Regierung und Gesellschaft auf eine verantwortungsethische Basis zu stellen. Den sachlich bestens geschulten Ökonom erinnert der vage „Wir schaffen das“-Appell eher an ›ein harmloses Kinderlied‹, ein deutsches „Yes we can“ für die Probleme der Welt, − zu unbestimmt, um darin solide Pläne und Ziele zu erkennen.
- Skeptisch zeigt sich auch der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU Carsten Linnemann. Der promovierte Volkswirt erwartet »Kein Wirtschaftswunder« und fordert − bei allem durchaus vorhandenen Optimismus − ebenfalls dringend mehr Realitätssinn und den Blick für das Machbare.
Das Schlusswort hat selbstredend Herausgeber Jens Spahn, der sich mit seinem Beitrag
Ins Offene: Deutschland, Europa und die Flüchtlinge
noch einmal kritisch mit der komplexen Materie auseinandersetzt: „Wenn binnen eines Jahres weit über eine Million Flüchtlinge und Auswanderer neu in Deutschland ankommen, stellt das viele unserer bisherigen Gewissheiten radikal infrage. Bisherige Realitäten und Glaubenssätze werden an der neuen Realität brechen”, sagt er. „Wir erleben eine »Disruption« unseres Staates.”
Beim Lesen seiner Darlegung fällt ins Auge, dass er in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise immer wieder das Wort »Disruption« verwendet, »das Wort des Jahres 2015« unter Deutschlands Geschäftsleuten. Im Duden finden sich als Synonyme für »disruptiv« die schönen Adjektive ”zerrüttend“, ”zerreißend”, ”durchschlagend”, im militärischen Kontext auch ”brisant” oder ”hochexplosiv”. In diesem Sinne gebrauchen es auch die Manager: »Disruption« bedeutet für sie Revolution. Eine neue Idee, die auf einen Schlag alles bisherige (ver)ändert.
Die Debatte ist eröffnet − und geht ins Offene: Grenzen öffnen oder schließen? Zukunftsvision oder Kostenfaktor? Mehr Europa oder Renationalisierung? Und: Schaffen wir das, oder schafft es uns?
Das vielschichtige, 202 Seiten starke, hoch interessante Pro- und Contra-Sachbuch
Ins Offene: Deutschland, Europa und die Flüchtlinge
punktet mit 21 unterschiedlichen, argumentativ stichhaltig zu Papier gebrachten Erfahrungen, Betrachtungs- und Sichtweisen, Standpunkten, Überzeugungen und Ratschlägen − und empfiehlt sich daher unbedingt zur eigenen Meinungsbildung zu einem der brisantesten Themen unser Zeit.
Jens Spahns empfehlenswerter Meinungsfinder
Ins Offene: Deutschland, Europa und die Flüchtlinge
(ISBN 978-3-451-34997-3) ist als gebundene Ausgabe im Schutzumschlag beim HERDER Verlag zum Preis von € 19,99 erschienen.
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*) Anm. Oktober 2021
Ein Gedanke zu „Ins Offene: Deutschland, Europa und die Flüchtlinge / Jens Spahn (Hg.)“