Wer, wenn nicht ich / Henryk M. Broder

In seiner neusten Publikation mit dem Titel »Wer, wenn nicht ich« befasst sich Henryk M. Broder nach eigenen Worten mit ›Deutschen, Deppen, Dichtern und Denkern auf dem Egotrip‹. Henryk M. Broder wäre jedoch nicht Henryk M. Broder, wenn nicht vor allem namhafte Politiker und andere prominente Personen des öffentlichen Lebens ihr mehr oder weniger hart verdientes Quantum Fett wegbekämen.  🙂

Wo Broder drauf steht, ist auch Broder drin

Wer seinen Namen kennt, kennt mit Sicherheit auch die ebenso sprachgewandten wie witzig-ironischen und zum Nachdenken anregenden Kolumenen des deutschen Publizisten und Buchautors, die regelmäßig bei Welt.de hinter der Bezahlschranke erscheinen. Fans dürfte ebenfalls der von ihm mitgegründete und mitbetriebene Blog  »Die Achse des Guten«  (Achgut.com) ein Begriff sein, auf dem er konstant seine meisterlich provokanten kritischen Beiträge veröffentlicht und Politik und Gesellschaft Broders Spiegel vorhält.

Wer, wenn nicht ich

Henryk M. Broder_Wer, wenn nicht ich
Wer, wenn nicht ich / Henryk M. Broder

„Das Schöne an diesem Buch ist”, erklärt Broder in seiner Story »Sexit«, „dass es sich quasi von allein schreibt”. Sein Guru und Idol, Hanns-Dieter Hüsch, hätte mal auf die Frage, wie seine Texte entstünden und woher er sein Material nähme, geantwortet, es sei ganz einfach: „Hingehen, hinhören, nach Hause gehen, aufschreiben und vortragen.” Auch Broder schöpft seine Geschichten aus dem täglichen Leben und aus den Medien, nach eigenen Worten vor allem aus Sendungen wie den ›Tagesthemen‹, dem ›heute journal‹, ›Leute heute‹, ›Brisant‹, ›RTL-Explosiv‹ und ›RTL-Exclusiv‹. „Fernsehen ist für mich der tägliche Wasserstandsbericht aus einer Sozietät, die im Begriff ist, in den Fluten unterzugehen. Derweil ich auf einer Insel sitze und Protrokoll führe über das, was sich vor meinen Augen abspielt. Weniger erhaben ausgedrückt: Ich sammle den Müll anderer Leute ein, sortiere und verarbeite ihn zu Texten.”

Insofern steht nicht zu befürchten, dass dem umtriebigen, am politischen Tagesgeschehen hochinteressierten Autor jemals der Stoff für gute Geschichten  ausgeht. 😉

Von Doppelspitzen und anderen Spitzenleuten

Los geht es mit einer Politikstory mit dem Titel »Doppelspitze«. Hier dreht sich alles um die gute alte Tante SPD und ihr jüngstes Experiment in Sachen gendergerechte Überlebensstrategie.  Schade nur − dachten wir beim Lesen dieser und der nicht weniger amüsanten Interview-Story  »Spannend und so« mit den Akteuren Lars Klingbeil und Caren Miosga − , dass Broder das Ergebnis nicht abgewartet hat. Die nach der Veröffentlichung seines Buches ernannte Doppelspitze hätte seine Erwartungen (oder vielleicht eher Befürchtungen?) in jeder Hinsicht übertroffen.  Aber was nicht ist, kann ja noch werden.  🙂

In der Anekdote »Staatsputsch« setzt er sich kritisch mit den jüngsten politischen Resümees des Ex-CDU-Generalsekretärs Peter Tauber auseinander. In »Flugschämt euch!« warnt er vor Heuchlern und anderen falschen Klimapropheten im Allgemeinen und in »Haltung, fassungslos« sowie »Wegen Auschwitz« und »Expertenkreis« vor ›in staatstragenden Phrasen verpacktem Unsinn‹  à la Heiko Maas und anderen Scheinheiligkeiten in Sachen deutsche Erinnerungskultur.

War ›der Deutsche‹  schon immer so?

Carola Rackete, Jan Böhmermann, Robert Habeck, Frank-Walter Steinmeier, Joe Kaeser, Heinrich-Bedford-Strohm — interessant zu erfahren, welche Personen und sonstigen Geschichten & Gedanken dem Autor bei dem Stichwort »Willkommenskult« durch den Kopf gehen und wie er seine persönliche Meinung zu der heiß umstrittenen europäischen, deutschen & kirchlichen Asyl- und Migarationspolitik in der gleichnamigen Story, sowie den Geschichten »Schlepper-Kapitänin«, »Menschenfischer«, »Kuscheltierspenden«, »Zeichensetzer« und »Disqualifiziert«, mit Biss auf den Punkt bringt.

Antisemitismus, Antizionismus, Islam, Jägermeister & Let’s Dance

Nicht weniger lesenswert auch, wie sich Henryk M. Broder in der Geschichte »Tote, nicht umsonst« zu dem jüdisch-muslimischen Dialog-Projekt ›Schalom-Alkeikum‹ äußert und ›Qualitätsjournalismus‹ à la Thomas Kleist, Anja Reschke, Dunja Hayli und Anetta Kahane in seiner Story »Islam, Jägermeister, Let’s Dance!« in höchsten Tönen lobt.  😉  Auch in den Storys »Kippatragen«, »Gruppenbezogene Erscheinungsformen«, »ABM-Maßnahme« und »Schuft, Duuu!« thematisiert Broder das nicht immer harmonische Zusammenleben hierzulande, das mittlerweile − wie von der SPD-Politikerin Aydan Özoğuz vorausgesagt − , offenbar tatsächlich immer öfter täglich neu ausgehandelt werden muss. In diesem Sinne: Warum nur unseren Soldatinnen und Soldaten und nicht allen schon länger und allen noch nicht so lange hier Lebenden als starkes Zeichen für religiöse Toleranz sowie gegen Rassismus und Antisemismus ein beispielhaftes »Geistliches Angebot« machen, wenn es denn hilft?

Monty Python lässt grüßen

In den Anekdoten »Kamellen« und »Normen für Streichfette« zieht Broder das Brüsseler Labyrinth, die dramatische letzte Europa(schicksals)wahl und das überraschende Ergebnis (UvdL) durch den berühmten Kakao. In »Betreute Demokratie« erklärt er dem Leser bravorös, warum eine Diktatur nicht automatisch Gulag und KZ, Gestapo und Stasi bedeuten muss, sondern dass es auch ›kommode‹ Dikaturen geben kann, die sich um ihre Bürger kümmern, sie gut versogen und sogar ›konstruktive Kritik‹ zulassen, solange die Bürger das System, in dem sie leben, nicht in Frage stellen.

Mehr Schmu geht nicht

Egal ob Jamila Schäfer oder Luisa Neubauer − die deutsche Version von Greta Thunberg − samt Jürgen Trittin und die berühmte Eiskugel: In »Friday First«, »Schmu«, »Absolute Notwendigkeit«, »Messweinersatz«, »Fliegenkacke«, »Der Untertan«, »Von Wein und Wasser« und »Störfaktor« werden sämtliche ›grüne‹ Argumente  hinterfragt. Und Broder wäre wie gesagt nicht Broder, wenn er nicht auch vor allem die realen Kosten inclusive der nicht zu unterschätzenden Opfer des sogenannten Konsumverzichts für die beharrlich geforderten Maßnahmen zum Schutz von Klima & Umwelt gründlich(st) hinterfragen würde.

Von sinnlosen und anderen Katastrophen

Sinnlosen,  je nach politischer Ausrichtung von Medien und Politiker*innen (wie u. a. Ralf Stegner und Karin Göhring-Eckardt) instrumentalisierten Katastrophen, widmet sich Henryk M. Broder in mehreren beispielhaften Geschichten. Die Story »Sinnlose Kathastrophe« behandelt den ›Umgang‹ mit dem  ›Vorfall‹ an Gleis 7 des Frankfurter Hbf im Sommer 2019. In »Mutmaßlich« dreht es sich um den Stuttgarter Macheten-Mord und in »FAQ: Länder ruinieren« um die Ereignisse rund um die Silvesternacht anno 2015/2016 auf der Kölner Domplatte.

Auf den ersten Blick sieht alles ganz normal aus

Mit diesen Worten beginnt die letzte Erzählung des 200 Seiten starken Buches, die den Titel »Durchdrehen, olympisch« trägt und in der der Autor noch einmal zur Höchstform aufläuft. In diesem Sinne: Weiter so, lieber Henryk M. Broder.

Infolge der Corona-Pandemie sieht mittlerweile leider überhaupt nichts mehr ›normal‹ aus. Einige Politiker reden bereits von  einer  ›neuen Normalität — was auch immer das für unser aller zukünftigen Alltag bedeuten mag.

In der Zwischenzeit empfehlen wir unseren Lesern die Lektüre Henryk M. Broders herzerfrischend scharfzüngiger und kurzweilig zu genießender Publikation

Wer, wenn nicht ich.

Auch das interessanteste Buch ist natürlich keine Medizin gegen einen tückischen Virus. Es kann aber passionierte Leseratten speziell in diesen unfreiwillig kontaktarmen Zeiten gut unterhalten und nicht zuletzt dazu anregen, sich anlog dem Autor eine eigene Meinung zu bilden.

Das Buch (ISBN 978-3-9819755-5-0) ist als gebundene Ausgabe im Schutzumschlag zum Preis von € 24,00 im Verlag Achgut Edition erschienen.

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