Wie die Saat, so die Ernte − Commissario Brunettis 32. Fall / Donna Leon

Autorin Donna Leon bleibt ihrer Schreiblust treu: Wie in jedem Jahr legt sie auch in 2023 unter dem Titel »Wie die Saat, so die Ernte« einen neuen Venedig-Krimi − Commissario Brunettis mittlerweile 32. Fall − vor. Wir zwei von lesemehrwert.de haben ihren neuen Roman gerade einer nach dem anderen gelesen und können ihn allen Venedig- und Commissario Brunetti-Fans empfehlen. Worum es geht:

Frage für einen Freund

Wie die Saat, so die Ernte − Commissario Brunettis 32. Fall / Donna Leon

Der in Rom lebende Sohn eines Freundes von Brunettis Schwiegervater möchte mit seiner Familie nach Venedig zurückkehren und interessiert sich für einen Palazzo in der Nähe des Campo Santi Apostoli, für den − laut den neusten Meldungen aus der venezianischen Gerüchteküche − angeblich auch eine namhafte Hotelkette ernstzunehmende Kaufabsichten hegt. Um seinem Schwiegervater einen Gefallen zu erweisen, erklärt sich Brunetti spontan bereit herauszufinden, wie es um den Zustand des Palazzo Zaffo dei Leoni bestellt ist und ob sein derzeitiger Besitzer − der an der Universität von Venedig lehrende Geschichtsprofessor Renato Molin − tatsächlich beabsichtigt, sein vor rund vier Jahrzehnten ererbtes Domizil in näherer Zukunft zu veräußern. Als durchaus hilfreich bei dieser Aktion könnte sich der günstige Umstand erweisen, dass es sich bei der Gattin des Professore um eine alte Schulkameradin von Brunetti handelt.

Bei seiner ersten Erkundungstour trifft der Commissario jedoch nur auf eine in der Nachbarschaft ansässige Passantin und auf den aus Sri Lanka stammenden Dienstboten des Ehepaars, der im Gartenhaus des von einer hohen Mauer umsäumten Palazzos wohnt und ihm freundlich aber direkt mitteilt, dass die Residenz nicht zum Verkauf stünde.

Die Leute wollen keine alten Meister mehr

Derweil macht sich Brunettis Kollegin Claudia Griffoni Gedanken über die Zukunft des vor rund einem Jahr aus dem Gefängnis entlassenen stadtbekannten Hehlers Luigi Rubini, der bis zu seiner Verhaftung mit auf Bestellung gestohlenen Antiquitäten und Kunstwerken alter Meister handelte. Nach Erkenntnissen der Szene habe sich der Kundengeschmack in jüngster Zeit spürbar ›geändert‹, so dass der Markt für antiquierte Gemälde, Bronzeminiaturen, Porzellan und Elfenbeinschnitzereien stark schwächele, bzw. so gut wie eingebrochen sei. Gefragt wären nunmehr vorrangig Gold, Diamanten und andere Edelsteine. Diebesgut, für dessen Beschaffung es keine kunstgeschulten, bedächtig und planvoll vorgehende Einbrecher mehr brauche, sondern lediglich grob strukturierte Kriminelle, die − quasi über Leichen gehend − mit brachialer Gewalt nach allem griffen, was glänzt. Griffoni befürchtet, dass der Edelhehler Rubini zur Sicherung seines Lebensunterhalts auch unter diesen veränderten Voraussetzungen kurz über lang wieder ins Geschäft einsteigen könnte. Eine Vorstellung, die auch Vice-Questore Patta Sorgenfalten auf die Stirn zaubert.

Der Tote im Kanal

Brunetti staunt nicht schlecht, als er erkennt, dass es sich bei der Wasserleiche, die die Carabinieri in der nächsten Nacht gemeinsam mit seinen Leuten aus einem Seitenarm des Canale Grande ziehen, um den Mann aus dem Gartenhaus des Palazzo Zaffo dei Leoni handelt. Einen der Gegenstände, die der Tote bei sich trug, identifiziert der Commissario bei genauer Betrachtung als ein teilweise verwestes Knochenstück, das von einem Finger oder von einer Zehe stammen könnte ….

Bei seinem Besuch der Örtlichkeit am nächsten Tag betritt er zum ersten Mal den hinter Mauern verborgenen verwilderten Garten, das mit einfachen Mitteln liebevoll renoviert und eingerichtete Gartenhaus, in dem der Tote wohnte, sowie den von dichtem Dornengestrüpp und wucherndem Buschwerk umstandenen Palazzo.

Ein Dickicht aus dunklen Geheimnissen und Lügen

Auch Brunetti muss sich bei seiner Suche nach dem Mörder im wahrsten Sinn des Wortes durch ein Dickicht aus alten Geschichten und Dokumenten kämpfen und mühsam den in Jahrzehnten scheinbar undurchdringlich zugewachsenen Weg zur Wahrheit freilegen. Nur gut, dass ihm Signora Elektra, der Sohn eines verstorbenen Tatverdächtigen, eine freundliche Nonne und die streunende Hundedame Sara dabei helfen, das verwurzelte Gestrüpp aus dunklen Geheimnissen und Lügen zu lichten und das Rätsel um ein altes Verbrechen zu lösen.

Auch wenn sich letztendlich die Richter nicht von der offensichtlichen Schuld des Verdächtigen − sowohl am Tod des frommen Buddhisten Inesh Kavinda, als auch an dem Entführungsopfer, dessen Überreste man im verwilderten Garten des Palazzo findet − überzeugen lassen, wird im letzteren Fall doch eine Mittäterschaft festgestellt. Ein Urteil, das die Ehe des mutmaßlichen Mörders zerstört und ihn letztendlich gesellschaftlich und finanziell ruiniert.

Unser Fazit: Wie erwartet legt Donna Leon auch mit Commissario Brunettis 32. Fall

Wie die Saat, so die Ernte

Donna Leon am Diogenes-Stand auf der Frankfurter Buchmesseeinen feingesponnenen, intelligenten und anspruchsvollen Kriminalroman vor, in dem sich menschliche Abgründe offenbaren. Wiederum ist es ihr hervorragend gelungen, auf Nebenschauplätzen gesellschaftspolitische Themen − wie u. a. den positiven Wandel im Umgang mit Homosexualität − anzusprechen. Großen Raum im Roman nimmt auch ein düsteres Kapitel aus den 1970er und frühen 1980er Jahren ein: Der seinerzeit in mehreren europäischen Staaten gefährlich ausgeuferte  linksextremistische Terror — eine Ära, während der ideologisch verblendete Verfechter einer klassenlosen Gesellschaft bei ihrem Kampf für totalitäre soziale Gleichheit tödliche Anschläge, Entführungen und Morde verübten und dabei den Tod Unbeteiligter billigend in Kauf nahmen.

Der 315 Seiten starke Roman »Wie die Saat, so die Ernte« (ISBN 978-3-257-07227-3) ist wie alle Venedig-Krimis von Donna Leon als Hardcover Leinen-Ausgabe im Diogenes Verlag zum Preis von €  26,00 erschienen.

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