Was ich noch sagen wollte ….
Auch ein gestandener Vollblutpolitiker wie der am 10.11.2015 im Alter von 96 Jahren verstorbene Altkanzler Helmut Schmidt, orientierte sich zeitlebens an Leitfiguren und Vorbildern. In seinen autobiografischen Erinnerungen
»Was ich noch sagen wollte«,
stellte er kürzlich der Öffentlichkeit die wichtigsten zeitgeschichtlichen, sowie ihm im Laufe seines langen Lebens persönlich bekannt gewordenen Menschen vor: Besondere und charismatische, ihm ans Herz gewachsene Charaktere, die ihn ein mehr oder weniger langes Stück auf seinem Lebensweg begleitet und sowohl seine Persönlichkeit, als auch seine Karriere nachhaltig geprägt haben. Dabei hatte er oft das Glück, den richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt zu begegnen.
Die unter dem Titel zusammengefassten Memoiren von Helmut Schmidt:
Was ich noch sagen wollte
− in denen er erstmals öffentlich bekannte, während seiner langjährigen Ehe mit seiner vor noch nicht allzu langer Zeit verstorbenen Gattin »Loki« vorübergehend eine Beziehung zu einer anderen Frau unterhalten zu haben ‒ rückten rasch nach ihrem Erscheinen auf Platz 1 der Spiegelbestsellerliste. Ganz offensichtlich war und ist das allgemeine Interesse, lesen zu wollen, »was« der hochbetagte Altkanzler ‒ der bis zuletzt als Mitherausgeber der »ZEIT« fungierte ‒ »noch sagen wollte«, ungebrochen. Daran vermochten seinerzeit auch hässliche, beinahe schon geschmacklose und gezielt unter die Gürtellinie gefeuerte Verrisse à la »taz« nichts zu ändern, sondern trugen (wenn auch sicher ungewollt) vielleicht sogar zur Popularität der Publikation ‒ der nunmehr tatsächlich letzten (in Erfüllung des inbrünstigen Wunsches des taz-Artikelschreibers Uli Hannemann) ‒ bei.
Der als kühler Denker und abwägender Pragmatiker geschätzte Altkanzler war nach eigenen Worten ein bekennender Eklektiker, der sich aus der Geschichte, sowie auch aus verschiedenen philosophischen Systemen und Religionen, aus Literatur, Kunst und Musik das für ihn Passende ausgewählt und daraus beispielhafte Anregungen und Lehren gezogen hat.
So bewunderte der am 23.12.1918 in Hamburg geborene Helmut Schmidt bereits als junger Mensch den römischen Kaiser und Philosophen Mark Aurel und lernte durch ihn die Kunst der Gelassenheit, − eine wichtige Grundvoraussetzung, um mit kühlem Kopf Entscheidungen zu treffen und das eigene Schicksal mit Kontenance zu ertragen. Auch das Traktat des Immanuel Kant »Zum ewigen Frieden« gehörte wegen der darin enthaltenen Erkenntnisse, dass sich moralisches Handeln auf Vernunft begründet und der Friede zwischen den Völkern kein Naturzustand ist, sondern immer wieder neu gestiftet werden muss, zu seiner bevorzugten Lektüre. Verkörperte doch dieser brillante preußische Ethiker und Philosoph ‒ sicher nicht nur für ihn ‒ das idealistische Prinzip von Tugenden wie Pflichtauffassung und Pflichterfüllung. Interessant und immer aktuell befand auch Helmut Schmidt die These von Kant, dass nicht nur »Faulheit und Feigheit« den Menschen am selber denken hindern, sondern es vor allem staatliche und kirchlich/religiöse Instanzen sind, die ihn in Unmündigkeit halten und davon abbringen, seinen Verstand zu gebrauchen.
Als − auch im Alter von 96 Jahren immer noch − von exzellentem Scharfsinn und solidem Urteilsvermögen geprägtem politischen Urgestein war es Helmut Schmidt auch in seinem letzten Lebensabschnitt ein besonderes Bedürfnis, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Erschreckend seine ernüchternde politische Bilanz am Ende des Buches, dass nach seiner Einschätzung der Friede der Welt im Jahre 2015 von einer längst überwunden geglaubten Ost-West-Konfrontation − u. a. auf Grund vorhersehbarer Bevölkerungsentwicklung/en − bedroht ist.
Das 239 Seiten umfassende Resümee der privaten und politischen Laufbahn von Helmut Schmidt:
Was ich noch sagen wollte
(ISBN 978-3-406-67612-3) − ein interessanter Rückblick in vergangene Jahrzehnte und Querschnitt durch das außergewöhnliche Leben eines erfahrenen Politikers aus Überzeugung − ist als gebundene Ausgabe im Schutzumschlag beim C. H. Beck Verlag zum Preis von € 18,95 erschienen. Unser Fazit:
Was ich noch sagen wollte
ist insgesamt ein attraktives und lesenswertes Werk, das dem Leser Raum für eigene Interpretationen lässt und jede Menge Anregungen bietet, eigene Überlegungen zum Thema Leitfiguren und Vorbilder anzustellen.